Im Oktober 2025 betrat die Deutsche Bahn neues Terrain in der Unternehmenskommunikation: Die erste fiktionale Webserie des Konzerns, „Boah, Bahn! Wir sitzen alle im selben Zug.“, feierte Premiere auf den Social-Media-Kanälen des Unternehmens. Im Mittelpunkt der Kurzepisoden steht Schauspielerin und Komikerin Anke Engelke in der Rolle der ICE-Zugchefin Tina Bowerman. Die etwa zweiminütigen Folgen zeigen ihren Arbeitsalltag zusammen mit ihrem Team, bestehend aus Zugbegleiterin Katy, Zugbegleiter Lukas und Bordbistro-Steward Serdar.
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Was diese Serie von reiner Werbung unterscheidet, ist ihre Entstehungsgeschichte: Die Initiative ging nicht vom Konzern, sondern von Engelke persönlich aus.
Eine ungewöhnliche Idee: Von der Praktikantin zur Zugchefin
Bevor die Serie produziert wurde, absolvierte Engelke über ein halbes Jahr lang immer wieder Praktikumstage bei der Deutschen Bahn. Ausgestattet mit der offiziellen Unternehmenskleidung sammelte sie praktische Erfahrungen – sie kontrollierte Fahrkarten, arbeitete im Bistro, fuhr im Führerstand mit und besuchte die Verkehrsleitzentrale.
„Das waren dann so viele Erfahrungen, dass ich gemerkt habe, das muss und möchte ich gerne verwursten“, so Engelke.
Dieser intensive Einblick in den Bahnalltag bildete die Grundlage für den Writer’s Room, in dem Engelke mit anderen Autorinnen und Autoren die Serie konzipierte und schrieb. Gemeinsam mit einem Team von Autorinnen und Autoren entwickelte sie die humorvollen Geschichten rund um den Bahnalltag.
Hinter den Kulissen: Die kreative Umsetzung einer heiklen Aufgabe
Für die Regie der Serie konnte mit Arne Feldhusen ein erfahrener Profi gewonnen werden, bekannt durch die Erfolgsserie „Stromberg“. Die Produktion übernahm die wtf GmbH, ein Jointventure der btf/ bildundtonfabrik & Elastique. Die größte kreative Herausforderung bestand vermutlich darin, wie man mit den notorischen Problemen der Bahn, insbesondere den Verspätungen, umgehen sollte.
Von Seiten der Deutschen Bahn habe es zunächst No-Gos gegeben, dieses Thema anzusprechen, wie Engelke im Interview verriet. Das kreative Team hielt dagegen: „Moment mal, das ist aber euer Kernproblem. Wenn wir das ignorieren, ist das ja ein totaler Witz!“
Es gelang eine Einigung, die es erlaubte, sehr nah an der Realität der Bahn-Mitarbeiter zu bleiben, ohne die Selbstironie zu kurz kommen zu lassen. Die Serie thematisiert auch die Wut, die den Mitarbeitern entgegenschlägt, und versucht, diese nachvollziehbar zu machen.
Engelke betont jedoch, dass dies kein Freibrief für Pöbeleien sei: „Aber dafür dann die Menschen, die jeden morgen wieder zur Arbeit kommen, obwohl sie auf die Mütze kriegen, anzupöbeln, gehört sich einfach nicht“. Die Serie soll Verständnis für die schwierige Situation der Bahn-Mitarbeiter schaffen, ohne die systemischen Probleme zu verschweigen.
Die Intention: Mehr als nur eine Imagekampagne?
Auf die Frage, ob die Serie eine PR-Aktion oder ein Feigenblatt für die Probleme des Konzerns sei, antwortete Engelke: „Beides für mich nicht.“. Ihr persönlicher Anspruch ist es, als Schauspielerin die über 200.000 Beschäftigten der Bahn wertzuschätzen und dem „allgemeinen hässlichen Groll“ etwas entgegenzusetzen.
Auch Michael Peterson, DB-Vorstand Personenfernverkehr, bezeichnete die Serie als „humorvolle Liebeserklärung an die Mitarbeitenden der DB“. Er räumte ein: „Wir haben momentan eine nicht zufriedenstellende betriebliche Situation, da wollen wir gar nicht drum herum reden. Aber wir haben auch fantastische Mitarbeiter an Bord der Züge“.
Trotz der humorvollen Aufmachung zielt die Kampagne auch auf ein besseres Verständnis der Fahrgäste ab. Kemal Silay, Gruppenleiter Zugbegleitdienst, der Engelke während ihres Praktikums betreute, hofft, dass „gewisse Fahrgäste ein anderes Verständnis für das Berufsbild der Zugbegleiter bekommen“.
Die taz kritisiert in ihrer Berichterstattung jedoch, dass dies ein durchsichtiges Ablenkungsmanöver sei: „Die Zugbegleiter müssen nun nicht nur Hooligankotze aufwischen, sondern auch noch die auf der Strecke gebliebenen Sympathiepunkte für ihr materiell und immateriell marodes Unternehmen aufsammeln“. Trotz dieser Kritik findet die Serie bei vielen Zuschauern großen Anklang.
Resonanz und Zukunft: Ein voller Erfolg für die Bahn?
Die Deutsche Bahn zeigte sich überwältigt vom Feedback zur Serie. Ein Bahnsprecher teilte mit, man habe in den ersten Tagen nach dem Start rund 50 Millionen Menschen erreicht, 20 Millionen Videoaufrufe verbuchen können und etwa 650.000 Likes auf allen Medienkanälen erhalten. Besonders bemerkenswert ist die angeblich sehr positive Reaktion: 99 Prozent der Kommentare seien wohlwollend gewesen.
Die hohen Aufrufzahlen, beispielsweise über 155.000 Likes für die zweite Folge allein auf einer Plattform, untermauern die große Aufmerksamkeit für das Format. Angesichts dieses Erfolgs deutet vieles auf eine Fortsetzung der Serie hin.
Ein Bahnsprecher gab gegenüber t-online an: „Sobald die Ergebnisse vorliegen, entscheiden wir über die Fortsetzung der Produktion“. Auch Anke Engelke selbst ließ durchblicken, dass ihr Engagement beim Konzern noch nicht beendet ist: „Wo ich als Nächstes hineinschnuppern darf, steht noch nicht fest, aber bei der Bahn stehen für mich noch einige Stationen aus“.
Die Deutsche Bahn verweigerte jedoch jegliche Auskunft zu den Produktionskosten und der Gage von Anke Engelke. Lediglich bekannt wurde, dass der Konzern insgesamt 200 Millionen Euro für die externe Kommunikation eingeplant hat, davon 50 Millionen Euro speziell für Social-Media-Aktivitäten.
Fazit: Zwischen Corporate Comedy und systemischen Problemen
Die Webserie „Boah, Bahn!“ markiert einen bemerkenswerten Kurswechsel in der Kommunikation der Deutschen Bahn. Statt defensiver Rechtfertigungen setzt der Konzern auf Selbstironie und Transparenz – zumindest auf einer zwischenmenschlichen Ebene.
Die authentische Darstellung des Bahnalltags, ermöglicht durch Engelkes Praktikum, und die kreative Freiheit unter Regisseur Arne Feldhusen heben die Serie von klassischer Unternehmenswerbung ab. Gleichzeitig steht die Kampagne exemplarisch für die Herausforderungen eines Staatskonzerns, der mit modernem Marketing gegen tiefgreifende infrastrukturelle Probleme ankämpft.
Ob die liebenswerten Charaktere um Zugchefin Tina langfristig das Image der Bahn verbessern können, bleibt fraglich. Die Serie kann vielleicht die Stimmung an den Bordtüren etwas entspannen, indem sie Verständnis für die Mitarbeiter fördert.
Die eigentlichen Probleme – wie die marode Infrastruktur und die angespannte Personalsituation – wird jedoch auch der Charme von Anke Engelke nicht lösen können. Letztlich bietet die Serie den Fahrgästen in einer frustrierenden Situation immerhin eine Wahlmöglichkeit: „Solange es für Zugreisende aber keine Alternative zur Deutschen Bahn gibt, haben sie nur die Wahl zwischen Ohnmacht und Lachen. Danke, Anke“.